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- Der Mountainbike Blog -

Fahrtechnik, Mentaltraining und mehr...

Mountainbike Fahrtechnik Tipps während der Tour, oftmals eine gefährliche Angelegenheit

Fahrtechnik Tipps während der Mountainbike Tour – Hilfreich oder No-Go?

MTB-Touren mit Fahrtechnik-Tipps sind total IN! Eine schöne Tour fahren und dabei die Skills verbessern – das hört sich ja toll an! Das wäre auch toll – wenn es nur möglich wäre!

In diesem Artikel erfährst Du, warum „Tipps“ auf der Tour Dich eher hindern und warum „Gorilla-Style“ biken nicht nur affig aussieht, sondern auch zu Schulter- und Rückenproblemen führen kann.

Was wir während einer Tour leisten müssen:

Mountainbiken ist ein sehr anspruchsvoller Sport. Sowohl körperlich, als auch mental. Es prasseln jede Menge Eindrücke auf uns ein – Aussicht, wechselnde Untergründe, links und rechts Hindernisse, die in den Weg ragen, andere Biker vor oder neben uns, Wanderer, Stufen (und vieles mehr) und dann gibt es auch noch unser Bike!

Und dann noch: den Körper, die psychische Verfassung und unsere Ausdauer, Kraft, motorisches Können, Beweglichkeit und dann noch unser Gehirn. Und mit Sicherheit noch einige andere Aspekte, die mir jetzt gerade nicht einfallen!

Wenn wir mal nur auf die Aspekte „wechselnde Untergründe“ + „Bike“ + „Körper“ + „Psyche“ eingehen – dann gibt es da die Fähigkeiten und Fertigkeiten wie zum Beispiel ANTIZIPATION, KOORDINATION, REAKTION, KOPPLUNGSFÄHIGKEIT, ORIENTIERUNG, KRAFT, BALANCE, UMSTELLUNGSFÄHIGKEIT, ob Du „gut drauf bist“ (oder eben nicht), ob Dein Bike gut eingestellt ist und funktioniert, ob es gestern geregnet hat und rutschig ist – und, und, und!

Diese ganzen Fähigkeiten werden von uns gefordert – wir sind also beim Biken, sobald wir in technisch anspruchsvollem Gelände sind, MAXIMAL GEFORDERT. Und das, auch wenn wir das Gelände „unter Kontrolle haben“ und noch keine Angst oder Unsicherheit ins Spiel kommt!

Und nun stelle Dir vor – wenn neben diesen Dingen, von denen viel automatisch abläuft – noch eine GANZ NEUE Sache ins Spiel kommt. Zum Beispiel jemand, der den gut gemeinten Fahrtechnik Tipp „Mach mal die Ellenbogen weiter raus, wie ein Gorilla“ ausspricht.

Was passiert jetzt?

  1. Du stellst Dir einen Gorilla vor, oder nicht? Du siehst also das Bild eines Gorillas. Ein Teil Deines visuellen Gedächtnisses ist also mit dem Gorilla „beschäftigt“ – dieser Bereich steht Dir jetzt nicht mehr zur Verfügung, um die visuellen Reize der Umgebung aufzunehmen.
  2. Du konzentrierst Dich darauf, Deine Ellenbogen ziemlich übertrieben nach außen zu stellen. Meinst Du, Du kannst Dich noch auf andere Bewegungen konzentrieren?

     

Wenn Du jetzt sagt – „Ja klar, ich kann ja multitasken“ – müssen wir Dir diesen Zahn leider ziehen. Hier einige Worte aus einem Interview mit einem Neuropsychologen:

„Multitasking gibt es gar nicht“

sagt Ernst Pöppel, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians Universität München.

„Es ist physiologisch für das Gehirn nicht möglich“

Jeder Versuch der Gleichzeitigkeit endet dort, wo das Gehirn nicht nur wahrnehmen, sondern auch reagieren muss.

 „Zu einem bestimmten Zeitpunkt kann immer nur ein einziger Sachverhalt im Zentrum des Bewusstseins stehen“, sagt Neuropsychologe Pöppel. Wenn das Gehirn bewusst Entscheidungen treffen muss, richtet sich seine Aufmerksamkeit nur auf einen Punkt. Im Hintergrund können Handlungen gleichzeitig ablaufen, die „wir aber nur mit quasi gleitender Aufmerksamkeit verfolgen, wie Musikhören beim Autofahren“, erklärt Pöppel. Wer glaubt, mehreres gleichzeitig erledigen zu können, irrt. In Wirklichkeit springen die Gedanken rasch zwischen den verschiedenen Tätigkeiten hin und her. Das aber ist – wen überrascht es – wenig effizient, wie eine Untersuchung von David Meyer und Jeffrey Evans von der University of Michigan bestätigt.

Die amerikanischen Hirnforscher konfrontierten ihre Studienteilnehmer mit einer Reihe unterschiedlich vertrauter Aufgaben. Die Umstellung auf die neue Anforderung kostete jedes Mal Zehntelsekunden. Je komplizierter die Aufgabenstellung war, desto höher war auch der Zeitverlust. Dazu sanken Wahrnehmung und Reaktionsschnelligkeit, während gleichzeitig die Fehlerquote stieg.

Löste eine der Tätigkeiten dazu noch starke Emotionen aus, sank die Konzentrationsfähigkeit bei den anderen Aufgaben gegen Null.

Das Ergebnis: die Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns sinkt um bis zu 40 Prozent, wenn es ständig zwischen mehreren Tätigkeiten hin- und herwechseln muss.

Auf das Mountainbiken übertragen heißt das für Dich: Wenn Du Dich in technischem Gelände auf einen „Tipp“ konzentrierst, kannst Du Dich nicht mehr auf das Gelände konzentrieren, geschweige denn auf das, was  kommt, REAGIEREN! Oder wenn Du Dich auf das Gelände konzentrierst, kannst Du den Tipp nicht ausführen, der Dir gegeben wurde – da wir ja nur automatisierte Bewegungen „gleichzeitig“ ausführen können!

Hierzu möchten wir noch mehr Details aus einem Artikel zitieren:

Automatisierte Prozesse wie etwa Laufen und Gestikulieren können wir durchaus parallel verarbeiten und mit anspruchsvolleren Tätigkeiten kombinieren, erklärt Neurobiologe und Autor Henning Beck: „Dafür passiert das aber auch nur im Unterbewusstsein. Bewusstes Paralleldenken ist für das Großhirn viel zu aufwendig. Für eine Tätigkeit, über die wir uns keine Gedanken machen müssen, übernimmt die lästige Rechenarbeit hingegen das Kleinhirn. Und dann ist es kein Problem, sie gleichzeitig mit einer anderen Tätigkeit auszuüben.“ Wer sich also zum Beispiel beim Radfahren unterhalten möchte, der wird damit normalerweise keine Probleme haben.

Natürlich ist es auch kein Problem, wenn es um grundlegende und sicherheitsrelevante Tipps geht, die nicht gleichzeitig ausgeführt werden müssen – wie zum Beispiel „Kurbeln waagerecht“ oder „Sattel absenken“ – vor allem, wenn das Gelände noch nicht mega anspruchsvoll ist. Diese Tipps sind selbstverständlich hilfreich und förderlich! Ein Guide/Trainer sollte jedoch differenzieren können, wo ein grundlegender Tipp aufhört und ab welchem Schwierigkeitsgrad das Gelände für den jeweiligen Teilnehmer zu anspruchsvoll wird, um Tipps umzusetzen.

Echtes Multitasking ist eine Illusion“

Anders verhält es sich mit komplexen Tätigkeiten, erklärt Henning Beck: „In der Neurowissenschaft versteht man unter „Task“ eine Aufgabe, die immer einen Aufmerksamkeitsprozess erfordert. Dabei muss man bewusst über jeden Schritt nachdenken, sich darauf konzentrieren. Und dann muss man Teile des Großhirns benutzen.“ Solche anspruchsvollen Tätigkeiten wirklich gleichzeitig auszuführen, kann uns gar nicht gelingen, so Beck: „Multitasking ist schon anatomisch für das Gehirn ein Ding der Unmöglichkeit. Da kann man noch so viel üben.“ Wenn wir also etwa im selben Zeitraum ein Telefonat führen und eine E-Mail lesen, dann erledigen wir eigentlich beides abwechselnd, indem wir uns blitzschnell zunächst der einen, dann wieder der anderen Aufgabe zuwenden. Allerdings klappt auch das nur mit maximal zwei Aufgaben, so eine Studie französischer Forscher der Ecole Normale Supérieure in Paris aus dem Jahr 2010.

Nicht nur unrealistisch, sondern auch gefährlich kann es werden, wenn zusätzlich noch die Fahrtechnik-Tipps missverstanden werden!

Was noch zu der Unrealisierbarkeit hinzukommt, ist dass viele schnelle, während einer Tour von einem Guide oder Trainer zugerufene Fahrtechnik Tipps (ohne vorheriges, professionelles Training), missverstanden werden!

Ein Beispiel hierfür ist der oft propagierte Tipp „Ellenbogen raus“ (oft auch Gorilla oder Cowboy genannt) oder auch der Tipp „Kinn über dem Vorbau behalten“. Wenn die Ellenbogen zu weit außen sind, ist dies für Dein Schultergelenk eine SEHR unnatürliche Haltung und dies führt oft zu einem kompensatorischem Rundrücken, oder zu viel Druck am Lenker, was dann wieder andere, viel gefährlichere Folgen (wie über den Lenker gehen) nach sich ziehen kann.

Hier findest Du ein detailliertes Video, in der auch eine Physiotherapeutin erklärt, weshalb die Gorilla-Style „Ellenbogen-raus-Position“ schädlich ist und welche Ellenbogen-Position stattdessen förderlich ist.

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Oder der Tipp „Kinn über den Vorbau“ – um zentral im Bike zu bleiben – führt oft dazu, dass Biker nach unten schauen, um zu sehen, wo sie sind, und mit dem Bike ins Steilstück oder eine Stufe herunter nach vorne „kippen“.

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Tipp: Die 10 Basiselemente der Mountainbike Fahrtechnik findest Du  bei uns im Blog.

Woher kommen solche Tipps?

Generell sind wir uns sicher, dass diese Fahrtechnik Tipps gut gemeint sind und auch bis zu einem bestimmten Grad und zur richtigen Zeit hervorgebracht, hilfreich sein können!

Manchmal sind es aber leider unreflektierte Tipps, die aufgeschnappt wurden oder bei einer Ausbildung gehört wurden, nicht hinterfragt werden und dann „einfach so“ weitergegeben werden.

Als MTB-Guide und MTB-Trainer ist es sehr wichtig, dass man sich seiner Verantwortung bewusst ist und alles, was man hört, oder liest, hinterfragt!

Auch diesen Artikel hier 😉

Bitte versteht uns nicht falsch – das GEGENTEIL der hier als Beispiel genannten Positionen (also Ellenbogen am Körper eng anliegend oder Po nach hinten) – sind genauso schädliche Tipps! Wir nehmen sie nur als Beispiel, um zu hinterfragen welche Tipps förderlich und welche sogar schädlich sein können.

In a Nutshell: Es geht uns um Folgendes:

  1. Direkt im Gelände Fahrtechnik Tipps umzusetzen ist (neuro)anatomisch nur dann möglich, wenn es sich um SEHR LEICHTES Gelände handelt, das keine bis wenig Aufmerksamkeit einfordert.
  2. Du solltest jeden Tipp, den Du bekommst, hinterfragen! Damit Du verstehst, was er wirklich bedeutet (egal ob Du Teilnehmer, Trainer oder Guide bist).
  3. Überlege Dir genau, WO Du diese Tipps übst. Übe NICHT in einem Gelände, dass Du subjektiv als anspruchsvoll oder gar angsteinflößend empfindest! (Die Erklärung hierzu findest Du weiter oben im Text – in der Studie der Michigan University – was passiert, wenn Emotionen involviert sind)
  4. Wenn Du Fahrtechnik lernen willst, wirst Du dies NICHT im Gelände lernen oder sofort umsetzen können! Neue Bewegungen und Automatismen formt das Gehirn nur unter reizbereinigten Bedingungen mit VIELEN Wiederholungen. Denn nur so geht die Ausführung vom Großhirn ins Kleinhirn. Am schnellsten und effektivsten lernst Du diese Fahrtechnik mit einem professionellen Trainer, der Dir immer das „Warum“ erklären kann und Dir hilft, eine solide Basis aufzubauen.
  5. Grundlegende Tipps, vor allem wenn vor der gemeinsamen Ausfahrt ein gezieltes Training/eine detaillierte Erklärung stattgefunden hat – können durchaus hilfreich sein. Es ist nur wichtig, als Guide/Coach/Trainer zu differenzieren, ob der Tipp ein grundlegender, sofort umsetzbarer Tipp ist (z.B. Sattel absenken, Kurbeln waagerecht halten) und ob das Gelände dafür geeignet ist, oder ob es sich um einen „ablenkenden“ Tipp handelt.

 

Nun kannst Du für Dich beantworten: Ist es wirklich ratsam, ein MTB-Camp zu buchen, indem Tipps & Tricks ON TOUR versprochen werden? Oder eher ein gezieltes Fahrtechniktraining zu besuchen und (regelmäßig) konzentriert und isoliert Fahrtechnik zu üben?

Wenn Du Dich jetzt fragt, wie kann ich MTB-Fahrtechnik denn dann lernen?? – dazu haben wir auch einen Blogartikel.

Fazit:

Unser Gehirn ist zwar ein Super-Computer, er hat jedoch seine Grenzen. Diese Grenzen zu kennen und nichts Unrealistisches zu erwarten, fördert nicht nur Deine Motivation und damit auch Deinen Lernfortschritt, sondern verhindert auch Verletzungen und Frust auf der Tour.

Wenn Du eine Tour fahren möchtest – dann genieße sie! Konzentriere Dich auf die Aussicht, den Fahrspaß, die Trails, Deine Mitbiker – oder was auch immer Dir Freude bereitet. Wenn Du Fahrtechnik lernen und üben willst – dann mache dies isoliert und gezielt. Oder suche Dir EINFACHE Trailsektionen heraus, die Du mehrmals fährst und die MTB-Technik anwendest und übst, die Du vorher bereits MEHRMALS in der Ebene geübt und gefestigt hast. Und versuche nicht in schwierigem Gelände, Tipps auf die Schnelle anzuwenden oder anderen welche zu geben.

Literatur und Quellenverzeichnis:

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