– Gastbeitrag von Marcel Tschannerl –
Ist es Dir auch schon mal so ergangen? Du hast den ganzen Winter über brav am Hometrainer oder auf der Rolle Kilometer abgespult und dann stellst Du bei der ersten Ausfahrt auf den Trails fest, dass Du Dich nach kurzer Zeit richtig leer fühlst…? Selbst die zusätzlich noch investierte Zeit in Sit-Ups und Liegestütz hat augenscheinlich nichts gebracht.
Warum neben Deinem Konditionstraining ein funktionelles Kraft- und Koordinationstraining als essenzieller Teil fehlt und was Du beim nächsten Mal anders (und damit hoffentlich besser) machen kannst, möchte ich Dir hier erklären.
Marcel Tschannerl
Zertifizierter Bikeguide, Fahrtechnik- und Fitnesstrainer
Wohnhaft in Südtirol
Werfen wir zunächst einen Blick darauf, wie sich der Mountainbikesport in den letzten Jahren entwickelt hat. Heutzutage geht es nicht mehr darum, mit dem Fahrrad auf oder über einen Berg zu kommen und dabei die Grenzen der persönlichen Ausdauer auszuloten. Die Auffahrt (gegebenenfalls auch in Verbindung mit Tragepassagen – vor allem in hochalpinem Gelände) ist letzthin immer mehr ein Mittel zum Zweck geworden, um zur schönsten Abfahrt zu gelangen. Diese soll möglichst lang am Stück sein, entweder „flowig“, technisch anspruchsvoll oder irgendwas dazwischen – den persönlichen Vorlieben entsprechend.
Die Entwicklung der Technik der Räder mit immer leistungsfähigeren Fahrwerken und Bremsen führte auch zu einer Verschiebung der Möglichkeiten. Was vor 10 Jahren noch als scheinbar unfahrbar galt, stellt mit modernem Material auch für Hobbyfahrer kein Problem mehr dar. Eine solide Fahrtechnik ist dafür aber mehr denn je eine Grundvoraussetzung.
Die Beinkraft ist also beim modernen Mountainbiken nicht mehr ausschließlich wichtig. Auch wenn diese Ansicht im allgemeinen Verständnis dieses Sports – auch unter aktiven und erfahrenen Mountainbikern – immer noch weit verbreitet ist, so ist es doch vielmehr so, dass es sich hier um einen koordinativ höchst anspruchsvollen Ganzkörpersport handelt.
Das Rad will nicht einfach nur vorwärtsbewegt und gesteuert werden. Aufgrund des Untergrundes bewegt es sich permanent in verschiedene Richtungen und dies muss durch Gegenbewegungen mit dem Körper wieder ausgeglichen werden, um das Gleichgewicht zu bewahren. Der Gleichgewichtssinn mag bekanntlich im Ohr sitzen, die Muskeln, die hier aber die Arbeit verrichten, sitzen viel tiefer.
Vor allem Dein gesamter Rumpf und Oberkörper ist beim Biken dauerhaft aktiv.
Der Bereich von der Schulter über Rumpf und Becken bis inklusive der Oberschenkel wird gemeinhin auch als „Core“ bezeichnet.
Diese Aktivierung gilt nicht nur für das Einleiten und Ausführen einzelner Bewegungen und Fahrmanöver. Sie dient zu einem sehr großen Teil auch zur Stabilisierung und dem Erhalten des Gleichgewichts und der Balance sowohl isometrisch (beim Halten einer Position), als auch dynamisch (in Bewegung). Je stabiler Du dabei in Deiner Gleichgewichtsposition bleibst, desto weniger Ausgleichsbewegungen muss Dein Körper ausführen. Ein Grundmaß an Stützkraft spart also auch Energie, die der Körper anderweitig verwenden kann.
Woher kommt die Kraft? Funktionelle Aspekte
Wie eben erläutert, stellt Deine Beinmuskulatur nur einen kleinen Teil der benötigten Kraft beim Radfahren zur Verfügung. Genau genommen ist es vielmehr so, dass deren Bewegungen, wie alle anderen auch, vom Rumpf ausgehen. Diese Bewegungsmuster sind uns angeboren, was auch gut bei Kindern zu beobachten ist, die sich instinktiv ganz natürlich bewegen. Durch mangelnde Bewegung und Sitzzwang während der Schulzeit und im Berufsleben gehen diese Automatismen verloren.
Eine weitere Folge dieser dauerhaften Ruhigstellung unseres Körpers sind Fehlhaltungen, wie nach vorne fallende Schultern und dadurch verkürzte Brustmuskulatur bei gleichzeitig dauerhaft überlasteter Muskulatur im oberen Rücken. Diese Probleme führen oftmals zu einer Hyperlordose im Lendenwirbelbereich in Verbindung mit nach vorne gekipptem Becken, was wiederum eine Verkürzung der Hüftbeuger, besonders des Iliopsoas nach sich zieht. Es ist dies nur EIN Beispiel, wie eine einzige Fehlhaltung weitere nach sich zieht und somit den gesamten Körper beeinflusst. Aber speziell beim Radfahren werden diese Haltungen durch das nach vorne gebeugte Fahren mit dem Gesicht nach unten verstärkt und die Körpervorderseite zusätzlich gepresst. Und genau deshalb machen Sit Ups keinen Sinn, da sie ja einen Muskel trainieren, der genau diese Haltung noch verstärkt.
So entstehen ganze Ketten von Problemen, die von einem falsch oder unzureichend trainierten Muskel in der Körpermitte her ruhen. Eine solche Fehlhaltung kann, wie eben gezeigt, nicht nur den Kraftumsatz der Beine verschlechtern, im schlimmsten Falle kann sie auch zu Verletzungen führen.
Es ist also vonnöten, die zuvor erwähnten kindlichen Automatismen wieder zu aktivieren. Dazu müssen wir lernen, unsere Stützmuskulatur, in weiterer Folge „Core“ genannt, wieder bewusst anzusprechen und sie zu kräftigen.
Der Core – was ist das eigentlich?
Der Begriff „Core“ ist in letzter Zeit zu einem Modewort in der Fitnessbranche geworden, jedoch denken die meisten dabei an die Bauchmuskulatur, speziell den eben erwähnten Rectus Abdominis, der für den Sixpack verantwortlich ist.
Allerdings bilden dieser und die restlichen Bauchmuskeln (davon gibt es nämlich noch einige mehr) nur einen Teil des Cores. Zu ihm gehören auch alle anderen Muskeln, die mit Wirbelsäule und Becken verbunden sind. Er zieht also von der Oberseite des Rumpfs bis in den Bereich der Knie, wo Muskeln ansetzen, die ihren Ursprung im Bereich des Beckenbodens haben. Im Pilates werden diese Muskeln als Powerhouse bezeichnet, im Yoga sind es (sehr vereinfacht gesagt) die Bandhas.
Wichtiger sind aber die Aufgaben des Corebereiches. Neben der Stabilisierung der Körpermitte und einer aufrechten Haltung finden sich noch jene, Kraft in die Extremitäten zu übertragen, oder auch den gesamten Rumpf vor Verletzungen zu schützen.
Das Trainingsprogramm
Bevor Du jetzt also voller Enthusiasmus in ein neues Core-Trainingsprogramm für Mountainbiker einsteigst, stellen wir uns doch erst noch die Frage, welche Art von Kraft in dieser Sportart hauptsächlich vom Körper aufzuwenden ist.
Es wurde bereits mehrfach erwähnt, dass reine Ausdauerleistung nur von sekundärer Bedeutung ist. Vielmehr musst Du permanent Stöße vom Untergrund abfedern, oder aber Du musst Dich – etwa für einen Bunny Hop – kraftvoll mit den Beinen abstoßen. Dieses Bewegungsmuster ist also am besten mit einer Kniebeuge im Ausfallschritt (dem sog. Lunge) zu vergleichen, eventuell noch in Verbindung mit einem Liegestütz. Hinzu kommen noch die Verwindungen im Oberkörper, etwa beim Kurvenfahren. Gefordert sind also die Schnellkraft aus den unteren Extremitäten, die Stützkraft im Arm- und Schulterbereich, sowie die Stabilität in Rumpf und Hüfte.
Bricht man diese Bewegungen auf die Art der Muskelkontraktion herunter, so zeigt sich, dass alle drei Formen, konzentrisch (verkürzend/beugend), isometrisch (haltend) und exzentrisch (streckend) angewandt werden. Darüber hinaus geschieht dies in allen drei Bewegungsebenen, der sagittalen, der frontalen und der transversalen.
Funktionelles Training als Methode
Krafttraining wird auch heute noch vielfach mit dem isolierten Belasten einzelner Muskeln – oftmals geführt an Maschinen – gleichgesetzt. Bei näherer Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass ein Training jener Körperbereiche oder Muskelgruppen, die in der jeweiligen Sportart hauptsächlich gefordert sind, zielführender ist. Ein Training soll Dich auf das Ausüben Deiner Sportart vorbereiten.
Das bedeutet jedoch wiederum nicht, dass es sich um sogenanntes „sportartspezifisches Training“ handeln soll, bei dem immer wieder die gleichen (eben sportartspezifischen) Bewegungsabläufe trainiert werden. Funktionelles Training verbessert allgemeine Bewegungsabläufe und baut dadurch Kraft auf. Dies ist ein grundlegender Unterschied. Dabei dient – zumindest bei Einsteigern – der eigene Körper als einziger Widerstand. Gewichte und vergleichbare Hilfsmittel finden zunächst noch keine Verwendung.
Eine sehr gute Grundlage als Trainingsprogramm wird in dem Buch Core-Training für Radsportler von Tom Danielson auf Seite 99ff. beschrieben. Da sich dieses jedoch auf Rennradfahrer bezieht, sollten einige Übungen ergänzt oder durch andere ersetzt werden, die sich nach Meinung des Autors besser für den Mountainbiker eignen, wie etwa einfache plyometrische Übungen, die die Sprungkraft und Explosivität stärken sollen.
Generell sollte jedes Training ein dynamisches WarmUp, als Hauptteil ein Ganzkörperworkout mit einem bestimmten Schwerpunkt und einen CoolDown beinhalten. So wird hier ein Focus auf die Problemzonen Schulter, unterer Rücken, Hüfte und Beine gelegt. Es mag sich auf den ersten Blick immer nur um eher kurze Einheiten mit wenigen Übungen handeln. Jedoch sollte beim funktionellen Coretraining noch mehr als sonst auf eine langsame und korrekte Ausführung geachtet werden, um das Antrainieren von Fehlhaltungen und Dysbalancen zu verhindern. Dies macht diese Übungen für die meisten zu einer großen Herausforderung, sodass eine Einheit, die länger als 40 Minuten dauert, kontraproduktiv wäre und aufgrund der hohen Anstrengung sogar eine gewisse Verletzungsgefahr in sich birgt.
Hier kanst Du ein beispielhaftes Training inklusive Erklärung der Übungen downloaden, sodass Du Dir ein Bild von den Abläufen machen kannst. Wenn Du mehr Informationen haben willst, schreibe mir gerne ein Nachricht:
Du siehst also, dass diese Trainingsform eine sehr anspruchsvolle ist. Aus dem Grund möchte ich Dir empfehlen, wirklich sehr langsam an die Sache heranzugehen. Wenn Du ganz sicher gehen willst, weil Du noch Anfänger bist oder generell nicht allzu viel Erfahrung mit Training hast, so möchte ich Dir nahelegen, in einen Personal Coach zu investieren, der im Idealfall auf funktionelles Training spezialisiert ist UND Ahnung vom Mountainbiken hat. Er erkennt allfällige Schwachstellen und kann das Trainingsprogramm dann auf DICH und DEINE BEDÜRFNISSE anpassen. Nur dann holst Du das Maximum für Dich heraus und wirst Dich nie wieder über vergeudete Trainingszeit im Winter ärgern müssen.
Fazit:
Um langfristigen muskulären Dysbalancen in Deinem Körper vorzubeugen, kommst Du um Krafttraining nicht herum. Der Winter eignet sich, neben Techniktraining, besonders gut, um Deinen Körper auf die nächste Bikesaison vorzubereiten. Mittlerweile ist das Online-Coaching nicht nur beim Mountainbiken möglich, sondern auch zahlreiche Fitness Trainer bieten Dir ihre Leistungen (Trainingspläne, Video-Coaching, uvm.) online an.
Wir empfehlen Dir: Lasse Dich auch hier von einem professionellen Coach begleiten, da Du Dein Geld direkt in Deine Gesundheit investierst und so langfristig davon profitierst.